Experten sind sich einig: Klassische Bewerbungsverfahren schrecken zu viele gute Bewerber ab. Gründe dafür sind beispielsweise unnötige Hürden und oberflächliche, erste Eindrücke von Bewerbern. Zudem sorgen eingefahrene Abläufe oft dafür, dass zu viele Bewerber aussortiert werden. Wie sollte zeitgemäßes Recruiting dann aussehen? Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Aber es kann sich lohnen, mutig zu sein und andere Wege zu gehen. Das zeigen einige Stadtwerke mit ihren alternativen Methoden bei der Auswahl ihrer Nachwuchskräfte.

Vorstellungsgespräche in der Tram 

Die Stadtwerke München gehen mit einer »Bewerbungstram« auf die Suche nach Nachwuchskräften: Ganz ohne Anmeldung können Interessenten einfach einsteigen, sich informieren, Vorstellungsgespräche führen und bestenfalls mit einer Zusage wieder aussteigen. Dieser neuartige Recruiting-Ansatz ist die Antwort der Stadtwerke München auf die Fragen »Was hält Bewerber von einer Bewerbung ab und wie sieht ein kandidatenfreundlicher Bewerbungsprozess aus?« 

Die Kandidatenperspektive prägt die gesamte Herangehensweise: unbürokratisch, schnell, ungezwungen und vor Ort: »Nicht die Bewerber kommen zu uns, sondern wir zu ihnen – dorthin, wo sie sich wirklich aufhalten«, sagt Anita Niemeyer, Leiterin Personalmarketing und Talentgewinnung. Dieses Konzept ist vor allem für die Menschen vorteilhaft, die keine Übung darin haben, Bewerbungen zu schreiben. Oder für jene, die keinen »stromlinienförmigen« Verlauf in ihrem Werdegang vorweisen können. »Für sie kann es eine große Hürde sein, sich in einem Anschreiben erst einmal zu erklären oder ihren Werdegang in die standardisierten Eingabemasken eines Online-Bewerbungsportals zu pressen. Diese Barrieren bauen wir ab«, sagt Niemeyer. 

Etwas gewöhnungsbedürftig ist sicher die Gesprächsatmosphäre. Sie ist nicht so ungestört wie in einem klassischen Vorstellungsgespräch – dafür aber ungezwungener. Und wie bei jedem neuen Konzept mussten die Stadtwerke München viele Fragen im Vorfeld beantworten: »Wie läuft die Abstimmung mit dem Betriebsrat? Welche Streckenführung ist die richtige? Wie viel Aufenthaltszeit haben wir an den Haltestellen? Wie stellen wir ein stabiles WLAN sicher? Welche Menge an Getränken und Snacks benötigen wir? Diese waren nur einige Themen, die wir im Vorfeld diskutiert haben«, sagt Niemeyer. 

Doch die Idee funktioniert: Bisher sind die Stadtwerke mit großem Erfolg an vier Terminen durch München gefahren, um Fahrdienstmitarbeiter zu rekrutieren. Ein fünfter Termin findet im November statt. Auch die Bewerbertram-»Specials« für Schüler und technische Fachkräfte kamen gut an. 

Anonymisierte Bewerbungen

Die reine Auswahl nach Qualifikationen und Chancengleichheit – diese Ziele haben sich die Stadtwerke Offenbach mit ihrem anonymisierten Bewerbungsverfahren gesetzt. Das heißt in der Umsetzung: Bewerber können jegliche persönliche Angaben – wie Namen, Geschlecht, Alter, Familienstand sowie zur Herkunft und Religion – weglassen. Allerdings ist es den Bewerbern überlassen, ob sie dieses Angebot annehmen. Auch wenn das anonymisierte Verfahren zu mehr Chancengleichheit führt, bedeutet es für die Bewerber einen Mehraufwand, da sie die Unterlagen entsprechend anpassen müssen. Personalleiterin Gerlinde Klos sagt: »Das anonymisierte Bewerbungsverfahren nutzen vor allem weibliche Bewerber im Alter von 50+ Jahren. 2017 bewarben sich nur etwa vier Prozent der Bewerber anonym. Für jüngere Bewerber ist das Verfahren zu aufwändig. Sie möchten sich am liebsten nur mit einem Klick bewerben.«

Auch für die Stadtwerke ist mit dem ano­nymisierten Verfahren mehr Aufwand verbunden. »Wir kennen keine geeignete Software, die ein anonymisiertes Verfahren abbilden kann«, sagt Klos. Daher mussten die Stadtwerke selbst die technische Infrastruktur dafür schaffen und entsprechende Formulare entwickeln. Die Umsetzung ist nicht immer einwandfrei: »Es kommt vor, dass Bewerber unvollständig ausgefüllte Formulare versenden oder die Anonymisierung nicht konsequent einhalten.« Zudem müssen die Stadtwerke einen fairen Vergleich zu herkömmlichen Bewerbern gewährleisten.

Trotz den Herausforderungen sehen die Stadtwerke Offenbach das anonymisierte Verfahren als Chance, sich als fairer und moderner Arbeitgeber zu positionieren und so ihre Arbeitgeberattraktivität zu stärken.

Sportliche Bewerbungsgespräche

Ob beim Joggen, Tretbootfahren oder auf dem Fahrrad: Die Stadtwerke Düsseldorf wollen ihre Bewerber in ungezwungener Atmosphäre auf Augenhöhe kennenlernen. Schulnoten oder Bewerbungsunterlagen spielen dabei keine Rolle. Mit ihren Kampagnen wollen die Stadtwerke die Hürden für Bewerber möglichst gering halten. »Die Herausforderung ist hierbei, einen Weg zu finden, junge Menschen zu ermutigen, sich zu bewerben«, sagt Tim Kemkowski, Personaler bei den Stadtwerken Düsseldorf. Das erfordert, im Recruiting immer am Puls der Zeit zu bleiben. Das fängt schon dabei an, Schüler und Eltern in den richtigen Kanälen anzusprechen. 

Die Stadtwerke setzen dabei auf Social Media und Youtube-Videos. Kemkowski: »Wir möchten mit neuen und spannenden Ideen junge Menschen erreichen. Und da wir abteilungsübergreifend mit der Ausbildung, der Rekrutierung und dem Marketing sehr gut aufgestellt sind und Hand in Hand arbeiten, gibt es bei der Umsetzung keine Probleme.«

Erstmals erschienen in der Zeitung für kommunale Wirtschaft (ZfK), Ausgabe 11/2019, Beruf & Erfolg.
Foto: Stadtwerke Düsseldorf

Ceyda Neccar

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